In den Wind gesprochen (86)


Warum scheitern so viele Weltumsegelungen?

Ist es tatsächlich ein häufiges Phänomen? Wie kann man das feststellen? Ja, wir können ungefähr den Prozentsatz ermitteln, wie viele gestartete Weltumsegelungen vorzeitig enden. Dabei lassen wir die Planungsphase für solche gewaltigen Unternehmungen außer Acht, selbst wenn die ersten Schritte, wie der Erwerb einer geeigneten Yacht, unternommen wurden. Der Ausgangspunkt für diese Überlegungen ist die Anzahl der Yachten, die im Herbst von den kanarischen Inseln aus über den Atlantik segeln. Denn nahezu alle Weltumsegelungen von deutschen Seglern beginnen auf der Atlantikroute im Passatwind. Es gibt zwar seltene Ausnahmen, wo deutsche Yachten, nicht immer erfolgreich, den Weg über das Rote Meer in den Indischen Ozean genommen haben, aber diese spielen hier keine Rolle.

Es dürften sicherlich über 200 Yachten (mindestens!) sein, die im Herbst den Weg über den großen Ozean, die 2700 Meilen, starten.

Großer Anteil an deutschen Yachten



Unter diesen Yachten befinden sich bestimmt mehr als 60 deutsche Yachten, denn neben amerikanischen sind deutsche Yachten die Hauptakteure auf den Segelrouten in den gemäßigten Breiten. Ein Großteil dieser Yachten wird sich wahrscheinlich mit der Atlantikschleife begnügen, um dort Luv zu gewinnen und dann mit den Westwinden wieder nach Hause zu kommen, was durchaus Respekt verdient.

Von den verbleibenden etwa zwei Dutzend Yachten werden wahrscheinlich etwa 20 oder 30 Yachten weiter nach Westen segeln und konkret an eine Weltumsegelung denken. Dabei meine ich auch die Vorsichtigen, die ihre Pläne beschreiben mit Floskeln wie "wir wollen mal sehen, wie weit wir kommen" oder "die Südsee lockt" oder "immer Richtung Westen", ist ja nicht unklug, wenn man seine Pläne nicht laut verkündet. Das erleichtert dann ein frühes Abspringen.

Eine Weltumsegelung ist nach wie vor keine einfache Sache, die man leichtfertig angehen sollte, sondern ein durchaus herausfordernes Unternehmen. Allein die Zeit, die hierfür veranschlagt werden muss, beträgt unter Berücksichtigung der vorherrschenden Winde zwei bis drei Jahre. Das bedeutet, dass es sich um ein Projekt handelt, das nicht jeder mal so nebenbei bewältigen kann.

Aus der nachfolgenden statistischen Darstellung lässt sich ganz gut die Durchschnittsdauer einer Weltumsegelung herauslesen:


Wenn man erst einmal durch die Karibik und den anschließenden Panamakanal hindurch ist, gibt es kaum eine Möglichkeit, auf kurzem Wege zurückzukehren. Lange Zeit haben wir in Colon auf der Atlantikseite und in Balboa unmittelbar nach der Pedro-Miguel-Schleuse vor Anker gelegen und konnten tagaus, tagein die Yachten beobachten, die sich dem berühmtesten Kanal der Welt anvertrauten. Segelschiffe, die von der Südsee kamen, waren extrem selten. Um es kurz zu machen, wenn man den Panamakanal passiert und die gelobte Südsee einmal erreicht hat, führt eine Weltumsegelung zwangsweise immer weiter nach Westen entlang des Äquators. Denn gegen die Passatwinde gibt es für eine Segelyacht keine Rückkehr. Der Punkt ohne Rückkehr für eine angehende Segelyacht liegt also nicht irgendwo in der Mitte der Erdumrundung, sondern wird mit der Kanalpassage erreicht. Doch wie viele der geschätzten 20 bis 30 deutschen Yachten, die eine Weltumsegelung in Erwägung ziehen, haben diese auch abgeschlossen? Hier bietet sich möglicherweise die viel besuchte FEST-Veranstaltung des großen Vereins TRANS OCEAN als guter Maßstab an. Dort werden, vor und nach der Corona-Zeit, bei deren traditionellem Festabend im November normalerweise lediglich 3-5 Yachten mit dem Weltumsegelungs-Preis geehrt.

50% plus scheitern

Wenn man also von der geschätzten Zahl der gescheiterten Weltumsegelungen ausgeht, unabhängig von den Gründen, die diesen Zahlen zugrunde liegen, lässt sich grob sagen, dass mindestens die Hälfte der gestarteten Weltumsegelungen scheitert. Es ist keine geringe Zahl. Doch was sind die Hauptgründe für das Scheitern einer solchen Unternehmung, nachdem häufig viel Geld und vor allem Herzblut investiert wurden?



Es kommen vor allem zwei Faktoren infrage. Einerseits könnte es am Schiff liegen, das die Mannschaft möglicherweise im Stich lässt. Andererseits könnte der Mensch, also die Mannschaft selber die Ursache für das Misslingen sein.

Selten ist aber das Schiff die Ursache für das Versagen, wie die außerordentlich große Anzahl erfolgreicher Weltumsegelungen beweist, mit vermeintlich ungeeigneten Schiffen. Weltumsegelungen wurden mit 6 m langen Yachten, alten Holzyachten, selbstgebauten Zementbooten oder Sperrholzkatamaranen durchgeführt - Schiffstypen, von denen der Laie annehmen würde, dass sie nicht für einen so extremen Blauwassertörn wie eine Weltumsegelung geeignet sind. Schaut man sich die über hundert Yachten auf dieser Webseite an, findet man einige Schiffe, von denen nicht jeder geglaubt hätte, dass sie den Globus sicher umrunden können. Heutzutage bieten Werften und Gebrauchtboot-Händler regelmäßig respektable Schiffe für die Hochseeschifffahrt an, sodass grundlegende Fehler bei der Anschaffung einer Yacht für die Zukunft auf dem Wasser kaum gemacht werden können.

Also bleibt als alleiniger Grund für das Scheitern des Traums von einer Weltumsegelung der Mensch oder die Mannschaft übrig. Die Gründe, warum Menschen bei der größten Unternehmung ihres Lebens nicht erfolgreich sind, sind vielfältig.

Geld- oder Zeitnot sind wahrscheinlich nicht die Hauptgründe. Kaum jemand wird ein solches Unternehmen angehen, wenn er nur über begrenzte Zeit und finanzielle Mittel verfügt. Jeder wird rechtzeitig dafür sorgen, dass zumindest die finanzielle Seite von Anfang an stimmt. Man sollte jedoch mahnen, dass der finanzielle Aufwand häufig unterschätzt wird. Die Zeiten, in denen eine Weltumsegelung mit Hilfe von Kokosnüssen und Fischen durchgeführt werden kann, sind vorbei. Auch der Traum von der Arbeit unterwegs sollte unbedingt verworfen werden, da es kaum möglich ist, an Bord einer anderen Weltumsegelungsyacht eine lohnende Beschäftigung zu finden. Professionelle Charterunternehmen bieten regelmäßig viel mehr Komfort als eine Weltumsegelyacht unterwegs bieten kann und sind im Geschäft.

Und wenn sich jemand mit dem Zeitaufwand verschätzt hat, wird ihm spätestens in der Karibik auffallen, dass die geplante Zeit oft zu kurz bemessen ist, um die 25.000 Seemeilen rund um den Globus rechtzeitig zu bewältigen. Wenn deutsche "Weltumsegel"-Yachten in Tahiti, Neuseeland oder Australien zum Verkauf stehen, ist das oft ein Zeichen dafür, dass der Träumer den Zeitaufwand falsch eingeschätzt hat.

Für einen Dollar pro Tag läuft heute nix mehr.



Man kann also sagen, dass einer der Hauptgründe für das Verlieren einer Weltumsegelung Einkommensverhältnisse sind, die sich plötzlich dramatisch ändern können. Es könnte die geldgebende Firma sein, die pleite geht, der Mieter, der sich die Mietwohnung des Seglers nicht mehr leisten kann, der Aktienabsturz wie vor Jahren oder familiäre Veränderungen, die eine eilige Rückkehr nach Hause notwendig machen.

Auch liegt der Grund für das Scheitern oft darin, dass die Mannschaft den Zusammenhalt verliert. Es kommt zwar selten vor, dass ein Lebenspartner-Paar sich während der Reise streitet, aber wenn das passiert, kann es dramatische Folgen haben, wie zum Beispiel den Zwangsverkauf des Schiffes. Wenn jedoch eine Gruppe von Freunden eine Weltumsegelung beginnt, bin ich der festen Überzeugung, dass bei mehr als der Hälfte dieser Unternehmungen ernste menschliche Probleme auftreten müssen. Die Realität verdrängt oft die Träume von der Weltumsegelung, und das bedeutet: Sorgen um Reparaturen, die Schiffskasse leert sich, die Enge auf dem Schiff wird zunehmend nervig, und Nachtwachen, insbesondere während der Hundewachen, sind nicht mehr romantisch. Dann zeigt sich, dass der Zusammenhalt bei Lebenspartnern stabil bleibt, während eine bloße Freundschaft meist nicht ausreicht.

Eher selten ist mangelndes Segelkönnen der Grund für das Scheitern. Denn wenn eine Yacht und ihre Mannschaft die ersten paar hundert Seemeilen durchgestanden haben, haben sie wahrscheinlich mehr praktische Segelkenntnisse und Fähigkeiten erworben als der durchschnittliche Urlaubssegler im ganzen Leben.

Vielleicht überraschenderweise spielt auch die Seekrankheit
bei dieser Erwägung nur eine geringe Rolle. Denn was Urlaubern, die von Wirtshaus zu Wirtshaus fahren, völlig unbekannt ist, weil sie die Nacht nicht unterwegs, sondern in der Marina verbringen, ist der glückliche Umstand, dass sich sich diese Krankheit praktisch von selbst heilt, wenn die Mannschaft ein paar Tage ununterbrochen unterwegs ist. Ich habe noch nie von Ankömmlingen auf dem Ankerplatz gehört, die über eine fortwährende Seekrankheit
unterwegs geklagt hätten.

Wie gesagt, die Schwachstelle einer Weltumsegelung ist, wie sollte es anders sein, der Mensch. Durch die zahlreichen Berichte über erfolgreiche Weltumsegelungen oder Blauwasserfahrten verwöhnt, nehmen wir kaum zur Kenntnis, wie viele Unternehmungen dieser Art scheitern, weil der Mensch versagt. Der Mannschaft wird nämlich unheimlich viel Kraft abverlangt.

Die Länge trägt die Last

Es ist überraschend, denn fast alle Blauwassersegler, auch wir, sind aus Freude am Fahrten-Segeln zu diesem Leben gekommen. Wir haben die Fortbewegung allein mit Hilfe des Windes über die Weltmeere enthusiastisch genossen. Zu Beginn haben wir jedoch nicht bedacht, dass die Zeit unsere Begeisterung erheblich beeinflussen würde. Oft höre ich, dass Weltumsegelungsträumer schwärmen, wie wunderbar es sein müsse, am Ruder zu sitzen und den richtigen Wind zu suchen. Das stimmt durchaus. In meinen ersten Segeltagen habe ich Carla früh morgens schon gedrängt, sich beim Frühstück etwas zu beeilen, weil wir so einen tollen Wind hätten, den wir jetzt ausnutzen müssten. Doch wenn man die ersten acht Stunden am Ruder verbracht hat, wünscht man sich nichts mehr, als so lange wie möglich in die Koje zu verschwinden. Und wenn eine Ozeanüberquerung drei bis vier Wochen oder länger dauert (der Atlantik ist bei weitem nicht der breiteste Ozean), gibt es kaum jemanden, der am Ende des Törns noch davon schwärmt, wie romantisch und wunderbar es ist, wenn die Segel das kleine Schiff über die Weltmeere ziehen. Die Begeisterung schwindet vor allem, wenn die Yacht, was auch unvermeidbar ist, auf der angeblich so friedlichen Passat-Route in schlechtes Wetter gerät. Noch weiter schrumpft die Leidenschaft, wenn der Sturm so heftig wird, dass man Angst um sein Leben bekommt. Ehrliche Weltumsegler werden zugeben, dass fast jeder solche Situationen schon durchlebt haben.

Beharrlichkeit ist der Schlüssel zum Erfolg!



Somit ergibt sich deutlich, dass die wichtigste charakterliche Eigenschaft zur Meisterschaft einer Weltumseglung darin besteht, dass die Mannschaft - und dieser Ausdruck ist bewusst gewählt - "beharrlich" ist. Man könnte diese Eigenschaft auch als Sturheit bezeichnen, was nicht negativ gemeint ist. Neigt jemand dazu, Pläne vorschnell über den Haufen zu werfen, oberflächlich zu planen und Gefahren des Alltags auf die leichte Schulter zu nehmen, dann würde ich ihm raten, lieber seinen Urlaub auf einer Yacht im Mittelmeer zu verbringen, als zum Beispiel im Indischen Ozean im strömenden Regen und mit einem Ziel, das 3000 Meilen entfernt ist, während der letzte Wetterbericht, mit Iridium empfangen, eine anwachsende tropische Konvergenzzone mit möglicherweise Orkanstärke ankündigt.

Der Sinn dieser Ausführungen besteht keineswegs darin, dem Einsteiger den Mut zu nehmen, eine derartige großartige Veranstaltung anzugehen, sein Leben danach auszurichten, sondern sich über die Probleme von vornherein klar zu werden. Liest man manchmal Berichte von vollendeten Weltumsegelungen, so entsteht oft der Eindruck, dass das Ganze ja gar nicht so schwer sein könne. Denn beim Ankommen am Ziel wird viel Ungutes von der Begeisterung über den Erfolg überdeckt. Von den vielen Problemen, die praktisch jeder unterwegs bewältigen muss, ist dann keine Rede mehr. Und Segler, die eine Weltumsegelung abgebrochen haben - das ist ganz natürlich - bringen viele Erklärungen für das Scheitern vor. Denn sie wollen nicht als Verlierer dastehen.

Wahrscheinlich in den Wind gesprochen, oder?

Bobby Schenk



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