In
den Wind gesprochen (16):
Tradition
und Seenotbewaffnung
"Auf
eine seegehende Yacht gehört aus Gründen der Sicherheit eine Signalpistole." Das höre ich seit meinen ersten Seemeilen und
dementsprechend waren alle meine Yachten mit einer Signalpistole samt Munition
(weiß, rot) ausgestattet. Warum weiß? Das ist doch jedem Seemann klar:
Damit im Falle eines Kollisionskurses dem Berufsschiff ein weißes Licht vor den
Bug geaschossen werden kann, um zu zeigen: "Hier bin ich, ein Segler und
ich hab Vorfahrt!" Und die rote Fallschirmleuchtrakete, das haben wir im
Segel-Grundkurs schon gelernt, bedeutet offiziell: "Seenot, helft mir".
Das wissen wir auch seit dem tragischen Untergang der
unsinkbaren TITANIC am 15. April 1912. Was bei genauem Hinsehen falsch ist, denn die
TITANIC hat eben
nicht rot geschossen (weil keine roten Raketen an Bord waren), sondern weiß.
Was wiederum zunächst auf einem anderen Schiff in der Nähe (CALIFORNIAN) als
ausgelassene Feier auf der TITANIC interpretiert wurde.
Für
den Erwerb der notwendigen Signalpistole (Kaliber 4) hat der Gesetzgeber enge
Voraussetzungen geschaffen, denn er verlangt, dass nur derjenige eine Signalpistole
(legal) erwerben kann, der eine Waffenbesitzkarte (WBK) von der zuständigen
Verwaltungsbehörde erlangt hat. Voraussetzungen, das sehen die Ämter sehr eng,
ist die Zuverlässigkeit (Unbescholtenheit des Bürgers - siehe amtliches
Führungszeugnis), Sachkunde, also sachgerechten Umgang mit derartigen
Feuerwaffen (pyrotechnischer Schein) und den Nachweis, dass für den Besitz der
Waffe (und die Signalpistole ist eine "Waffe" im Sinne des Gesetzes)
ein Bedürfnis vorliegt, was man beim Führen einer Yacht, die auf hoher See
schon mal in Seenot kommen kann, regelmäßig annehmen kann.
Damit
nicht genug. Der Gesetzgeber fordert darüber hinaus auch die
ordnungsgemäße Aufbewahrung der Signalpistole (in einem Safe der
Sicherheitsstufe 2) und der Munition, für deren Erwerb ebenfalls eine
behördliche Genehmigung vorliegen muß, in einem weiteren Safe. Also, alle
Schwierigkeiten zusammengenommen, sind das schon recht umständliche Hindernisse
nur dafür, dass wir letztlich im Seenotfall, der hoffentlich
niemals eintreten wird, eine rote Kugel oder eine rote Fallschirmrakete in die
Luft schießen können und dürfen. Nun
schreiben wir nicht das Jahr der TITANIC, also
1912, sondern sind ziemlich genau ein Jahrhundert
später dran. Deshalb sei die Frage gestattet, und zwar ganz ohne
Traditionshintergrund, ob denn eine Signalpistole auf einer Hochseeyacht, noch
dazu in unseren heimischen Gewässern (Ostsee, Mittelmeer, Nordsee) wirklich
notwendig ist? Sie dient doch nur dann dem Zweck, auf die eigene Notlage die
nicht allzu weite Umgebung (300 Meter hoch können bei Windstille die Raketen
steigen) aufmerksam zu machen. Wobei auch die Beobachter in der Lage sein
müssen, die Notlage zu kapieren und nicht an ein armseliges Feuerwerk im
Strandhotel denken. Aber brauchen wir dazu heute eine Signalpistole? Sind wir
nicht allesamt für den Notfall besser ausgerüstet, als die sendermäßig
ziemlich armselige TITANIC? Können wir nicht viel mehr erreichen, wenn wir die
Seenottaste am UKW-Sender drücken? Oder ein Mayday am Kanal 16 abgeben? Oder
mit dem GSM-Handy die 112 wählen? Oder mit dem Satellitenhandy irgendjemand
weltweit im
öffentlichen Telefonnetz anrufen und um Weitergabe der Notsituation bitten?
Oder die Epirb auslösen, die praktisch weltweit unseren Notfall kundtut? Alle
diese Maßnahmen, die keinerlei Erlaubnis bedürfen (UKW-Funk ausgenommen), sind viel
effektiver als eine rote Kugel am Himmel. Und wer immer noch
sicherheitshalber einen roten Feuerwerkskörper für notwendig erachtet, kann
sich einen Nico-Signalgeber mit roter Munition für 30 Euro anschaffen, der dann
auch den Himmel rot erleuchtet, zwar nicht so hell und so hoch wie eine
Signalpistole, dafür aber ohne jede Genehmigung im Yachtzubehörladen zu erwerben - siehe hier. Kurzum,
unter diesen Umständen ist heute eine Signalpistole auf einer Yacht ein höchst überflüssiger Ausrüstungsgegenstand. Und was ist mit der Warnfunktion, also die weiße Kugel vor den Bug eines
potentiellen Kollisionsgegners geschossen? Abgesehen, dass gegen derartige
Rüpeleien auch rechtliche Bedenken vorgetragen werden können, ist ein Anruf
auf Kanal 16 ("ship in my vicinity") nahezu immer wirkungsvoller und
schafft mehr Klarheit als ein verwirrender Lichtball voraus. Notfalls tuts auch
ein starker Scheinwerfer in die Segel oder in Richtung "gegnerische"
Brücke gerichtet. Und die
Signalpistole zum Zwecke der Selbstverteidigung bei Überfällen? Völlig
nutzlos, ja extrem gefährlich. Denn aus kurzer Entfernung auf einen Menschen
abgeschossen und getroffen, wäre dieser Einsatz mit großer Wahrscheinlichkeit tödlich, was sicher niemand
von uns will! Eine vorgezeigte Spielzeugpistole als Warnung tuts ebenso. Mag sein, dass einige stolze Besitzer einer Signalpistole mit WBK
anderer Ansicht sind. Wenn die Tradition zum Selbstzweck wird, ist meine Meinung
halt in den Wind gesprochen. Bobby
Schenk
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