Hallo
Herr Hagen,
Ihre Frage betrifft ein ganz wichtiges Thema und es
ist erstaunlich, dass sie so noch nie gestellt wurde, jedenfalls erinnere ich
mich nicht. Einen Teil Ihrer Frage kann ich sofort beantworten, nämlich
welches Werkzeug an Bord überflüssig ist. Die Antwort lautet, Sie haben es
sicher schon erwartet: "Keines"!
Wenn Sie die Berichte von Fahrtenseglern, speziell
von Langfahrtseglern verfolgen, dann werden Sie, vielleicht zu Ihrer
Verwunderung, immer wieder von Reparaturen am Schiff, von To-Do-Listen und
vom Warten auf Ersatzteillieferungen lesen. Ja, es gibt sogar eine (nicht
ganz ernsthafte) Definition einer Weltumsegelung, die da lautet:
"Weltumsegeln heißt, seine Yacht an den schönsten Ankerplätzen der Welt
reparieren." Trotzdem, es steckt das berühmte Körnchen Wahrheit drin.
Der Newcomer im Yachtsegeln wird sich fragen, ob
unsere Yachten so störanfällig sind, dass häufige Reparaturen tatsächlich
ein Thema sind. Sicher gibt es unter den Fahrtenyachten welche, die
besonders störanfällig sind, aber die Regel ist das wohl nicht, vor allem
nicht bei
Yachten aus "gutem Hause". Aber es wird häufig übersehen, dass eine Yacht
im Gegensatz zu einem Haus oder auch einem Auto ein viel komplizierteres
Gerät ist und unsere Fahrtenyachten in erster Linie für Urlaubsfahrten oder
Segeltörns in heimischen Gewässern ausgelegt sind und nicht für Langtörns
über ein oder gar mehrere Jahre hinweg. Hinzu kommt, dass die Yachten beim
Fahrtensegeln in der Regel ja nicht vor den Werfttoren herumkreuzen, sondern
häufig fernab von Fachbetrieben. Und nicht zuletzt segeln wir nicht nur
bei friedlichen Winden, sondern müssen auch gelegentlich schweres Wetter oder
gar einen Sturm abwettern.
Kurzum, es werden mit Sicherheit Reparaturen fällig,
sei es auf hoher See (selten), sei es auf abgelegenen Ankerplätzen oder sei
es in Marinas am Ende der Welt. Und diese können nur durchgeführt werden, wenn das
geeignete
Werkzeug an Bord ist.
Ganz falsch wäre es nun zu sagen, ich habe zwei linke Hände,
also könnte ich ohnehin mit einem Werkzeug nicht umgehen. Denn man ist
zwar unterwegs fast immer weitab von Fachbetrieben, in denen eine Yacht gut aufgehoben
wäre, doch selten ist man wirklich nur auf sich gestellt. Man wird immer
einen Handwerker finden, der auch mit den Problemen einer Yacht einigermaßen zurecht
kommen kann. Aber eben nur dann, wenn das geeignete Werkzeug an Bord ist. Und nicht
zuletzt wird man auf Ankerplätzen Segler treffen, die einem
bei Reparaturen
"helfen". Wobei letzteres in den früheren Jahren der
Blauwassersegelei übrigens ohne Bezahlung
geschah, irgendwie wurde das unter Segelkameraden auf fairer Basis geregelt,
wobei der Helfer nie zu kurz kam. Umgekhrt steht auf Ankerplätzen unser
Werkzeug selbstverständlich bei Bedarf anderen Yachtsleuten zur Verfügung.
Auch der geschickteste Helfer kann nur dann
hilfreich zur Hand gehen, wenn das "richtige" Werkzeug an Bord ist. Was nun
aber "richtig" ist, kann kaum eindeutig beantwortet werden. Denn
zu mannigfaltig sind
mögliche technische Probleme an Bord. Alles, was rund um die Maschine ist, kann
kaputtgehen, der Kühlschrank sowieso, aber auch am Rigg
kann einiges im
Seegang passieren, was eine Reparatur unumgänglich macht - und so fort. Und dass die
Toilette einmal den Geist aufgeben wird, ist nicht wahrscheinlich, sondern
auf einem jahrelangen Törn sicher. Merke: Murphies Gesetz Nummer eins
lautet: Was kaputtgehen kann, wird auch kaputtgehen.
Da wir also sicher nicht voraussagen können, welche
Reparaturen einmal notwendig sein werden und welche Werkzeuge man dazu
braucht, gibt es nur eine Möglichkeit der Eingrenzung bei der
Werkzeugbeschaffung, und die ist soviel Werkzeug wie nur irgendwie möglich mitzuschleppen. Als Karla und
ich in einer ganz abgeschiedenen und menschenleeren Gegend in Indonesien
unterwegs waren, schlug im Gewitter der Blitz bei uns ein. Trotz des
ohrenbetäubenden Krachs dachten wir, dass das Schiff unversehrt geblieben
sei. Eine Täuschung: Als wir die Maschine starten wollten, tat diese keinen
Mucks, sprang also nicht an. Per Satellitentelefon bekam ich die Auskunft,
dass dies am Starter liegen würde. Der fachmännische Hinweis, wo und womit
ich schrauben solle, hat mir nur deshalb geholfen, mit diesem ernsthaften
Problem fertigzuwerden, weil auch das richtige Werkzeug zur Hand war.
Aber keine Angst, das wird nicht zu teuer! Wie oft
hab ich zu Beginn meiner Segelreisen an Land den Satz gehört: "Wenn Du Dir
Werkzeug anschaffst, darf es nur das Beste sein, und das kostet halt...! Das Billigwerkzeug taugt
nichts."
Ich halte diesen Satz für falsch. In rund 20 Jahren, die ich auf Segelyachten auf dem
Wasser verbracht habe, sind auch auf meinen (guten) Yachten eine
endlose
Reihe von Reparaturen notwendig geworden, die ich entweder selbst (eineinhalb linke
Hände!) hingekriegt habe oder die fachmännisch von kundigen Segelkameraden
durchgeführt worden sind. Dabei ist es nicht ein einziges Mal passiert, dass irgendein
Werkzeug seinen Dienst quittiert hat, weil es etwa zu billig gewesen wäre.
Tatsächlich habe ich mein Werkzeug, wahrscheinlich wie die meisten erfahrenen Yachties
zum Teil aus
Sonderangeboten (z.B.Aldi oder Lidl) bezogen. Speziell heute, wo die
Akku-Werkzeuge immer mehr auf dem Vormarsch sind, kriegt man dort für wenig
Geld die besten Helfer. Die eignen sich besonders gut auf Yachten, weil sie
blitzschnell einsatzfähig sind. Sinnvoll ist es allerdings nur solche
mitzuführen, wenn an Bord ein Inverter oder Generator vorhanden sind,
sodass im Notfall so ein Akku für die Bohrmaschine auch am Ankerplatz oder
unterwegs aufgeladen werden kann. Denn nichts ist ärgerlicher als eine
Bohrmaschine mit einem dicken Akku hinten dran, der nach langem
Nichtgebrauch kaum noch einen Laut von sich gibt. Aber selbstverständlich
können Sie auch die genannten Markenwerkzeuge (Bosch, Makita, Festo etc) für
Ihr Leben an Bord anschaffen. Es ist wie beim Autofahren: Sowohl mit der
Merzedes-S-Klasse als auch mit einem Skoda kommen Sie sicher von Berlin nach
Hamburg.
Wenn man über Preise bei den Werkzeugen nachdenkt,
sollte man berücksichtigen, was man sonst fürs Schiff ausgibt,
wieviel eine kleine Fock kostet, oder dass ein schöner Patentschäkel
wahrscheinlich mehr kostet als ein Werkzeugkoffer mit Gabel-und
Ring-Schlüsselsatz vom Discounter.
Bei der Zusammenstellung des "richtigen" Werkzeuges
wäre es falsch, die Antwort aus der Feststellung zu beziehen: "Was kann ich
reparieren?", sondern man gehe mit Phantasie vor, frage sich: "Was
an Bord kann kaputtgehen?" und gebe sich die Antwort in Erinnerung an
Murpies Law. Dann werden sicher lange
Listen entstehen.
Meine Erfahrung: Wenn ein Werkzeug nur ein
einziges Mal zum Einsatz kommt, hat es sich mehr als bezahlt gemacht.
Eine Hilfe ist hierbei sicher auch das Kapitel über
Werkzeuge (siehe Foto) und diesbezüglicher Ausrüstung in meinem Buch
BLAUWASSERSEGELN, das gerade in der achten Auflage erschienen ist
und hier bestellt, oder auch direkt vom Autor mit persönlicher Widmung
versandkostenfrei bezogen werden kann. (Mein Verlag meint dazu: der Preis 51.- € für
fast vierhundert Seiten und 20 Jahre Erfahrung mit dem Leben an Bord sei nicht zu
hoch.)
Merke, es sind schon Yachten gerettet worden, weil
das richtige Werkzeug zur Verfügung stand. Ein tatsächliches Beispiel: An
einem herrlichen Segeltag verfehlte eine schöne 16-Meter-Yacht vom Typ Amel in der Südsee
die Einfahrt zu einem Ankerplatz und saß auf dem Riff fast schon trocken,
wobei nach dem abrupten Halt der Mast ins Wasser stürzte. Das Drama wurde
von der Crew zunächst nicht so ernst genommen, weil man hoffte, beim nächsten
Hochwasser wieder aufzuschwimmen, und außerdem war man gut versichert, sodass
eine Erneuerung des Riggs ohne weiteres zu verkraften gewesen wäre.
Die
Situation änderte sich, als der Mast, im Griff der Wanten und Stagen, im
Schwell immer wieder an die Bordwand geschmettert
wurde, sodass sehr bald
zu befürchten war, der Mast werde ein Loch in die Bordwand
schlagen, also nunmehr das ganze Schiff versenken. Die Crew daraufhin
verzweifelt, sich mit Wantenschneider, Bolzenschussgerät und
Eisensägen vom eben nicht mehr stehenden Gut zu befreien -
vergeblich. Das hatte ein anderer Ankerlieger mitbekommen und handelte.
Er wuchtete einen handlichen Jockel (220-Volt) in sein Schlauchboot und
erschien kurz darauf längsseits am Havaristen. Der Benzin-Generator wurde gestartet und
eine Flex (keine 100 Euro beim Discounter) erledigte in 10 Minuten, was die
gesamte Crew mit Wantenschneider und sonstigen für solche Fälle empfohlenen
Hilfsmittel nicht geschafft hatte. Die Yacht war frei und gerettet - dank
des "richtigen " Werkzeugs.
Mit "stürmischen Grüßen" - übrigens eine originelle
Wortschöpfung von Ihnen!
Bobby Schenk