Hallo
Herr Dietrich,
Für Ihre
Frage bin ich dankbar und sie freut mich auch.
Nein, es ist keine
Schadenfreude über Ihren Denkfehler, sondern Freude darüber, dass ich
Gelegenheit erhalte, ein paar Worte über eine Methode loszuwerden, der die Welt
ungeheuer viel verdankt und ohne die sie, politisch wohl nicht so aussehen
würde, wie sie jetzt ist.
Mit dieser Methode, hat schon
Kolumbus navigiert und wie wir wissen, einen Erdteil entdeckt
-so wie schon seine Vorfahren auf offener See. James Cook hat
damit als erster Mensch Hawaii auf die Erdkarte gebracht und bis
zur Erfindung der Satellitennavigation in den achtziger Jahren des
vergangenen Jahrtausends wurde die Formel zur Mittagsbreite täglich
in der Schifffahrt genutzt, von der kleinen Weltumsegelyacht bis
zum Riesentanker.
Unzählige Weltumsegelungen sind damit
durchgeführt worden, weil die Skipper, wie Wolfgang Hausner mal
lakonisch festgestellt hat, über die Ozeane "gebreitelt" haben.
Und weil
viele begeisterte Segler heute mit dem Gedanken spielen, sich
einen Sextanten anzuschaffen, und den nicht nur als Statussymbol
im Wohnzimmer an die Wand hängen sondern auch
mal "richtig auf hoher See“ astronomisch navigieren wollen,
darf ich diese geniale Art der Breitenbestimmung kurz, sozusagen
als Appetitanregung zur Hochseenavigation erklären, denn die
Bestimmung der geographischen Breite mit Hilfe der Sonne (99%
aller Sextantmessungen sind Sonnenmessungen) ist sowohl beim
Messen als auch - erst recht - beim Berechnen genial einfach.
Alles beruht auf der
Überlegung, dass eine Winkel-Messung zwischen der Höhe eines
Leuchtturms und seines Fußpunktes, wir kennen
das aus der terrestrische Navigation für Anfänger - 1.Kapitel, den Abstand
zum Leuchtturm ergibt und damit die Möglichkeit, einen Kreis auf
der Seekarte um den Leuchtturm zu zeichnen - mit dem Abstand als
Radius.
Wenn dies auch bei einem Gestirn
wegen der Größe des Abstandes praktisch nicht funktioniert (Kreis
und Gestirn würden zusammen nicht auf eine Seekarte passen), so
ist dies die Grundlage sowohl für das Verfahren nach St.Hilaire,
als auch für die Mittagsbreite.
Eine astronomische Standlinie ist also
genaugenommen keine Gerade, sondern ein Kreisbogen! Nur: Dieser
Ausschnitt aus dem Kreis ist wegen der Größe jedes Kreises mit
einem Durchmesser von vielleicht zigtausend Meilen nicht mehr
gebogen, sondern praktisch(!) eine Gerade, nämlich eine
Standlinie, also eine Linie, auf der sich unsere Yacht befindet.
Dem einen oder anderen wird sich
jetzt auch erschließen, welche Richtung so eine Standlinie hat?
Richtig! Sie, übrigens ihre fachliche Bezeichnung ist "Azimut",
steht genau senkrecht zur Richtung zum Gestirn (Sonne).
Mittags steht die Sonne, wie wir
wissen, im Süden oder wenn wir uns am Kap der Guten Hoffnung
befinden, genau(!) im Norden. Wichtig ist für Ihre Frage, Herr
Dietrich, das Wörtchen "genau". Denn Schiffsmittag, und nur der
ist für die Mittagsbreite maßgeblich, ist nur dann, wenn die Sonne
genau(!) im Süden oder im Norden steht. Das ist immer dann der
Fall, wenn die Sonne den höchsten Punkt ihrer Laufbahn um die Erde
erreicht hat.
Daraus aber folgt: Wenn wir die Sonne an
ihrem höchsten Punkt messen, auf dem sie scheinbar(!) vier Minuten
oder so verweilt, dann steht sie genau im Norden oder Süden, und
unsere Standlinie ist folglich zu ihrer Richtung (Azimut) von 180 Grad
(=Süden) oder 360 Grad(= Norden) senkrecht dazu, also 90 Grad oder
270 Grad (was für die Richtung einer Geraden dasselbe ist).
Eine
Gerade auf der Erdoberfläche in genau Ost- oder Westrichtung ist
aber exakt eine geographische Breite! Immer!
Jetzt können
wir mit diesen einfachsten Erkenntnissen leicht Ihren Denkfehler
beseitigen: Mit der genialen, aber doch recht komplizierten
Methode von St.Hilaire, die zu erläutern hier zu weit führen
würde, kann der Navigator das Azimut (=Richtung zum Gestirn) für
jede Tageszeit , also nicht nur mittags - das ist der Vorteil
dieser Methode - und damit die Standlinienrichtung exakt
berechnen. Er wird deshalb zur (Schiffs-)Mittagszeit eine
Standlinie von einer Richtung von 90 Grad oder 270 Grad berechnen.
Diese mit der Mittagsbreite zum Schnittpunkt zu bringen, macht
allerdings keinen Sinn, denn beide haben die gleiche Richtung. Und
damit gibt es nicht nur einen schlechten Schnittpunkt, sondern gar
keinen. Und somit auch keinen Schiffsort!
Die Formel zur Berechnung einer
Mittagsbreite zeige ich nur deshalb hier ergänzend auf, um
Besitzer von Sextanten zu animieren, ihr schönes Gerät auch mal in
der Praxis einzusetzen und die Schiffbreite zu berechnen:
Wenn im Sommer auf der Ostsee oder im
Mittelmeer die Sonne genau am höchsten steht, dann gilt:
90 Grad -
verbesserter Sextantwinkel
+ Deklination
Deklination ist die Gestirnsbreite
der Sonne, ein Wert, den man für jeden Zeitpunkt aus dem
Nautischen Jahrbuch auslesen kann.
Der eine oder andere wird nun sich denken:
Mit der Mittagsbreite kriege ich nur die geographische Breite
meines Standortes. Ist das nicht ein bisschen wenig?
Die erwähnten
breitelnden Weltumsegler haben das Gegenteil davon bewiesen. Sie
segelten auf die Breite des Zielortes und dann mit dem Kompass
genau nach Westen (oder Osten) und erreichten so, wenn auch ein wenig
umständlich ebenfalls ihr Ziel.
Wem aber die Breite nicht ausreicht, dem
sei die genauso einfache "Mittagslänge aus zwei gleichen Höhen"
empfohlen. Damit hat er dann den kompletten Schiffsort: Näheres
siehe: Astronavigation
: Ohne Formeln praxisnah, 15.Auflage
Viele Grüße
Bobby Schenk