Besucher fragen, Bobby Schenk
antwortet
15.10.2017
Sehr geehrter
Herr Helm,
Ihre Frage ist
nicht abwegig. Wenn man die Behauptungen mancher Werften in den Prospekten liest
und sich nichts Böses dabei denkt, könnte man durchaus auf die Idee kommen,
dass man sich eben - am besten auf der Messe mit Messerabatt - eine der
zahlreich angebotenen Yachten aus Kunststoff (meistens) mit je nach Geldbeutel
und Sportlichkeit passender Länge kaufen und sodann munter eine Weltumsegelung
(zum Beispiel) antreten kann.
Eine solche
Schlussfolgerung ist grundfalsch.
Natürlich
kann man
mit einer Yacht von der Stange heutzutage wundervoll von
Hafen zu Hafen segeln, mal am Nachmittag
oder am Wochenende
mit nächtlichem Hafenaufenthalt oder
sogar zwei Wochen lang. So ein Törn wird auch ein herrliches
Erlebnis sein.
Und man kann seine Yacht, das Fahrtenschiff nach dem Urlaub
wieder im Heimathafen festmachen und dann den Winter über von einem neuen weiten
Segeltörn träumen.
Ein solches
Schiff, das derartige Träume zur höchsten Zufriedenheit wahr machen kann, sind
die meisten von seriösen Werften angebotenen Yachten.
Mit
keinem dieser Schiffe aber können Sie trotz anders lautender Behauptungen
der Werft einfach so auf Langfahrt gehen.
Wir
können es ja mal - auf dem Papier - ausprobieren: Stellen Sie sich vor,
Sie sind Eigner einer schönen 11 Meter langen Fahrtenyacht mit Liegeplatz in
Südspanien. Über den Atlantik soll es gehen. Sie segeln
durch die Straße von Gibraltar über Madeira nach den Kanaren. Schon
auf dem mehrtägigen Törn nach Madeira wird ihnen nach den ersten
sechs Stunden am Ruder klar, dass das Segeln gar nicht so hinreißend schön
ist, sondern gelegentlich in Arbeit ausarten kann.
Das ist das erste,
was Sie feststellen werden: Ein Schiff auf Langfahrt braucht unbedingt
eine Selbststeueranlage. Denn stunden - oder gar tagelang am
Ruder stehen zu müssen, ist für eine Person unmöglich und für
mehrere Personen extrem ermüdend. Ruder gehen zu müssen, ist der
Lustkiller Nummer eins auf Langfahrt. Vielleicht wenden Sie ein, dass
man ja in den frühen Tagen der Fahrtensegelei (Koch, Hiscock) ja
ebenfalls ohne Selbststeueranlagen auskommen musste. Das ist nur bedingt
richtig.
Mangels Windsteueranlage (für den elektrischen
Rudergänger fehlte der Strom) versuchte man sich mit patenten
Segelkonstruktionen, zum Beispiel Passatsegel (siehe Foto!), aus dieser Zwangslage
zu helfen. Lesen Sie das wunderbare Buch "Hundeleben in
Herrlichkeit" von Ernst-Jürgen Koch (nur noch antiquarisch
erhältlich) ! Wie ein
roter Faden zieht sich durch die paar hundert Seiten die Suche nach
günstigen Winden, nicht allein wegen des besseren Vorwärtskommens,
sondern wegen der geringen Möglichkeit, das Schiff unter Segel sich
selbst steuern zu lassen. Ausser auf Vorwindkursen (dort mit
Dopperfocks = Passatbesegelung) waren diese Yachten (so wie die
heutigen) nämlich nicht imstande sich mit festgelaschter Pinne
selbst zu steuern.
Wie hoch diese Eigenschaft eingeschätzt wurde,
zeigt die Tatsache, dass viele Yachtkonstrukteure ihr halbes Leben
vergeblich damit zugebracht haben, ein Schiff mit perfekten
Selbststeuer-Fähigkeiten zu konstruieren. Ein Bekannter und erfahrener
Segler musste auf einer Atlantiküberquerung erleben, dass sein
eiserner Steuermann ausgefallen war und er und seine Frau dann selbst
ein paar Tage Hand anlegen mußten. Sein Fazit: "Wenn dies nochmals
passiert werde ich die Segelei aufgeben."
Eine
Selbststeueranlage
ist auf Langfahrt also ein absolutes Muß. Wenn genügend Strom da wäre
(in der Regel ein beherrschender Mangel auf kleinen Yachten) eignen
sich heute die elektrischen, ansonsten Windsteueranlagen, die dann
das Heck einer Langfahrt-Yacht verunzieren. Dass dieses Opfer nahezu
alle kleineren Yachten (unter 14 Meter) auf sich nehmen, zeigt
wie unersetzlich eine solche Anlage ist. Zwei Marken beherrschen den
Mark, jedenfalls in Europa: Windpilot und Aries. Eine Windpilot hat
meinen 15-Meter langen Katamaran gesteuert, die Aries meine
15-Meter-Stahlyacht THALASSAII wochenlang durch stürmische Vierziger
um KapHoorn, wo ich mit Ausnahme der Hafenein- und ausfahrten nicht
eine einzige Sekunde am Ruder zubringen mußte - über 4500 Seemeilen.
Übrigens geht heute die Tendenz bei Ruderautomaten dahin, dass selbst
kleineren Yachten empfohlen wird, sich zwei Anlagen anzuschaffen, die
elektrische wegen der Bequemlichkeit und die Windsteueranlage wegen
der Stromersparnis.
Wenn
unser Freund dann vielleicht endlich müde und abgekämpft Barbados
auf der anderen Seite des Ozeans erreicht und auf der Reede der
Calisle-Bay den Anker geworfen hat, merkt er wahrscheinlich
sofort, dass ihm eines der wichtigsten Ausrüstungsgegenstände für
Langfahrtyachten überhaupt fehlt,
nämlich ein
Beiboot. Natürlich ist diese Geschichte etwas konstruiert, denn
selbstverständlich hat sich jeder Yachteigner längst ein Beiboot
angeschafft. Sonst könnte er ja gar nicht ans Ufer zu den Leuten vom
Immigration Office. Obgleich unverzichtbar, ist ein Beiboot (am
besten nebst Außenborder) bei den Yachten mit angeblich "weltweiter
Fahrt" niemals eingeschlossen.
Schon am ersten Tag
in Barbados wird er merken,
dass sein Schiff einen weiteren Mangel aufweist, nämlich den
fehlenden
Sonnenschutz fürs Schiff und vorallem für die Mannschaft. Obgleich
lebenswichtig wird auch das nicht im Lieferumfang der Weltreiseyacht
eingeschlossen sein. Man könnte die Liste der fehlenden, aber
essentiell notwendigen Zubehörteile noch lange fortsetzen, die letztlich eine Langfahrt-(=Blauwasser-) Yacht ausmachen.
Der
wesentliche Unterschied liegt also in der Art der Verwendung. Freilich
.- beide sind zum Segeln da, aber die Blauwasseryacht muß auch die
Möglichkeit des Lebens an Bord, monate-, ja jahrelang, bieten.
Während die einfache Fahrtenyacht nach ihrer Verwendungsart mehr
einem Sportgerät
nahekommt, dient eine Langfahrt-Yacht zum Leben, sie
ist, wie es die Engländer ausdrücken. ein "swimming home",
das aber im Gegensatz zu einem Hauschiff eben geeignet und
ausgerüstet ist, tausende von Meilen ohne Unterbrechung, selbst von
Konzinent zu Kontinent zu wandern.
Zusammengefaßt:
Fahrtenyachten sind Hochseeyachten, die meist mit umfangreichem (und
auch teurem) Zusatz-Zubehör zur Langfahrtyacht aufgerüstet werden
können.
Mit
freundlichen Grüßen
Bobby
Schenk
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