Verlust der Steueranlage im Süd-Atlantik

Von Guido Dors – Weltumsegler und Gründer des Aequator Verlags (www.aequator.com)

Im Rahmen des Clipper Round the World Races ereignete sich eine interessante Geschichte auf der Etappe von Rio de Janeiro nach Kapstadt im November 2009. Als Wachführer hatte ich gerade die Verantwortung an die zweite Wache übergeben und freute mich auf meine Koje nach der ersten Nachtwache. Die Mitglieder meine Wache waren bereits alle im Schlafsack und ich hatte mir mein Quartier in einer „Leekoje“ eingerichtet als urplötzlich daraus eine „Luvkoje“ wurde. Da wir achterlichen Wind hatten und eigentlich eine Halse von der Route im Augenblick nicht sinnvoll war, kann der Steuermann nur eine Patenthalse gefahren sein. Da auch Geschrei an Deck zu hören war, lief ich schnell zum Niedergang und schaute nach ob ich helfen kann. Der Steuermann war eine Patenthalse gefahren, allerdings konnte man ihn kaum dafür verantwortlich machen da sich das Steuerrad vom Schaft in der Steuersäule gelöst hatte. Ich weiß nicht ob es persönliches Schicksal ist oder wirklich immer eins zum anderen kommt: es ist stockdunkel, nicht gerade warm, mit Windstärke acht alles andere als eine Flaute und natürlich regnet es in Strömen. Zunächst dachten wir noch dass sich eine Verschraubung gelöst hatte aber wir stellten dann fest dass der ganze Schaft gebrochen war und dass eine Reparatur auf See wohl sehr schwierig werden würde. Im Nachhinein stellte sie sich als unmöglich heraus da hierfür keine Ersatzteile an Bord waren aber selbst dann wäre es bei dem Seegang wahrscheinlich nicht erfolgreich gewesen.

Da nun alle an Deck gebraucht wurden, weckte ich meine Wache wieder auf und wir haben uns alle wieder in unser durchnässtes Ölzeug gezwängt. Die Segel mussten geborgen und die Notpinne angeschlagen werden. Beides zusammen hat ca. fünf bis sechs Stunden gedauert. Ohne Steuerung ist das Schiff ziemlich hilflos dem Seegang ausgesetzt und die Segelbergemanöver alles andere als kontrolliert. Ich wundere mich heute noch dass das Rigg diese Belastung ausgehalten hat. Der Mast hat teilweise vibriert wie ein Kuhschwanz. Aber irgendwann war alles geborgen und aufgeräumt so dass der Motor gestartet werden konnte und wir mit der Notpinne steuern konnten.

Natürlich passiert so etwas auch nicht kurz vor dem Ziel sondern ziemlich genau in der Mitte der Ozeanpassage. Wir hatten noch 1.100 sm bis Kapstadt hinter uns zu bringen. Ein 30 Tonnen Schiff erfordert eine etwas aufwändigere Konstruktion und Bedienung der Notpinne. Auf den Bildern kann man erkennen dass wir Leinen an beiden Seiten befestigt hatten, die über Blöcke auf Winschen im Cockpit gelegt waren. Nun saßen also an jeder Winschen jeweils zwei Personen, eine mit einer Winschkurbel in der Hand zum Dichtholen und eine mit der Leine in der Hand zum Auffieren. Wir hatten uns darauf verständigt dass auf das Kommando „Backbord“ auf der Backbordseite dicht geholt wird und auf der Steuerbordseite gefiert. Auf „Halt“ wurde dieser Prozess unterbrochen. Hierbei ist die Herausforderung auf beiden Seiten möglichst in der gleichen Geschwindigkeit zu arbeiten. Gerne war sehr viel Spannung auf den Leinen und dann sprang plötzlich das Ruder um mehrere Grad auf einmal. Die Personen an den Winschen konnten das Ruder und seinen Einschlag nicht sehen und waren ausschließlich auf die Kommandos des „Steuermanns“ angewiesen. Hier stellte sich heraus dass leider nur sehr wenige in der Lage waren mit der nötigen Ruhe das Schiff „ohne Steuer in der Hand“ zu steuern. Was es den wenigen, die es konnten, sehr anstrengend machte. Mit der Zeit bekommt man aber Übung und Vertrauen und nach zwei bis drei Tagen haben wir wieder Segel gesetzt und den Motor ausgeschaltet.

Wenn man das Schiff sehr genau beobachtet, so findet es am Ende immer seinen Kurs und mit etwas Trimm und wenigen und sanften Ruderausschlägen kann man durchaus zügig segeln. Wir haben Geschwindigkeiten bis zu zehn Knoten erreicht. Zugegebenermaßen etwas spektakulär aber mit Erfahrung machbar. Man muss hier auch den Veranstalter loben dass das Notpinne Setzen und vor allem damit Manövrieren in den vorbereitenden Trainings Pflicht ist. Ich persönlich empfehle es auch jedem mal bei etwas moderateren Bedingungen auszuprobieren. Vielleicht bricht nicht gleich das ganze Steuerrad ab aber Probleme mit der Steueranlage sind auch nicht völlig ausgeschlossen und sie sind meistens gut in den Griff zu bekommen.

Nach 1.100 sm und 7 Tagen kamen wir dann endlich am Ziel an. Leider war es wieder Nacht und der Wind hatte auf 40 Knoten aufgefrischt was keine idealen Bedingungen sind um in den Hafen zu kommen und schon gar nicht mit einer defekten Steueranlage. Da der Skipper aber die Gegebenheiten vor Ort in und auswendig kannte, haben wir es doch gewagt. Ich selbst gab die Kommandos und an den Winschen waren die zuverlässigsten Crewmitglieder und so haben wir uns an den Liegeplatz herangetastet.

Zum Glück war das Schiff im Hafen schnell repariert und wir konnten pünktlich wieder in See stechen. Auf einer späteren Etappe gab es mal Probleme mit den Seilzügen, die eine temporäre Notpinne erforderten. Mit den oben geschilderten Erfahrungen erschien dies geradezu einfach zu lösen. Ich will nicht verschweigen dass ein Bruch des Ruderschaftes eine ganz andere Geschichte ist. Dies wird man auch kaum zur Übung mal ausprobieren aber solange man eine Notpinne einsetzen kann, ist es durchaus möglich noch vernünftig vorwärts zu kommen.

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Bobby Schenk
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