in den Wind gesprochen (77)
Das Kreuz mit der Wende
Ich hab mich immer gewundert, warum diese Frage nicht schon viel früher gestellt worden ist. Denn mit dem geschilderten Problem wurde sicher schon jeder Hochseesegler konfrontiert. Deshalb bringe ich den so sachlich hinterfragenden Beitrag von Paolo Primiero nicht nur unter "Fragen", sondern auch und vor allem in der Rubrik "In den Wind gesprochen":
Guten Tag Herr Schenk,
Ich schätze Ihre Homepage und habe mit Interesse die Antworten gelesen, die Sie Ihren Lesern geben. Erlauben Sie mir, Sie etwas zu fragen, das normalerweise nie gesprochen wird, das aber beim Segeln von grundlegender Bedeutung ist.
Bei frischem Wind ist es immer Zeit zu reffen. Theoretisch ist alles einfach, tatsächlich ändern sich die Dinge, wenn man in rauer See segelt ( Halber Wind, Raumwind z.B.). Es scheint mir ziemlich gefährlich, den Bug in den Wind zu legen ( wenn überhaupt möglich ist ).
Meine Frage: wie wird es gemacht?
Vielen Dank und viele Grüße
Paolo Primiero, Berlin!
Eines gleich vorweg: Meine Antwort hierzu gilt vor allem den Langfahrtseglern, definitiv nicht den Jollenseglern und auch nicht jenen Seglern, die mal am Wochenende auf den See (oder auch aufs glatte Meer) hinausfahren und dann anderen Yachten in Rufweite demonstrieren wollen, wie toll ihre Segeltechnik, wie speedüberlegen speziell ihre Yacht ist. Erst recht gilt sie nicht den Regattierern, wo jeder Meter Luv-Gewinn zählt.
In meinen Blauwasserseminaren habe ich meinen durchaus sachkundigen Zuhörern zum nachfolgenden Foto, das irgendwo in der Arafura-See auf meinem Katamaran aufgenommen wurde, häufig folgende Frage gestellt : Wie schätzen Sie die Windstärke nach Beaufort ein, die auf diesem Foto geherrscht hat?
Die meisten Schätzungen liefen so auf drei Windstärken hinaus.
Anschließend zeigte ich dem Publikum mit der gleichen Frage folgendes Foto:
Bei dem unteren Foto pendelten sich die Antworten so bei fünf oder gar secha Beaufort.
Der Leser wird jetzt schon wissen, wie die Lösung dieser Fragen lautet: Beide Fotos wurden im Abstand von ein paar Sekunden gemacht. Einmal die Kamera nach vorne und dann nach achtern gehalten. Beide Fotos erklären vieles und spielen nachfolgend eine wichtige Rolle.
Fangen wir ganz von vorne an, erfahrene Segler mögen mir diese elementare Erklärung nachsehen: Wenden heißt, mit dem Bug in den Wind und dann mit der Restfahrt auf den anderen Bug fahren. Halsen ist genau das Gegenteil: Auf einem Kurs vor dem Wind - oder nahezu vor dem Wind - wird das Ruder so gelegt, dass das Heck der Yacht durch den Wind geht, also der Wind auf dem neuen Bug nunmehr von der anderen Bugseite in das Großsegel bläst.
Klar, das lernt man schon in den ersten Sekunden jedes Segel-, also auch Jollenkurses.
Leider lernt der Segeleleve in der Jolle aber auch, dass eine Wende ungefährlich ist, nicht aber eine Halse. Man wird es zwar nicht so bezeichnen, aber im Hintergrund schwingt "Halse = gefährlich" beim gesamten Unterricht mit. Zum Beispiel bei dem (richtigen) Hinweis, dass eine Halse, wo also der achterliche Wind plötzlich auf die andere Seite des Großsegels einfällt, das Schifferl zum Kentern bringen kann. Richtig für den Anfänger in einer Jolle!
Falsch für den Dickschiff-Segler, denn eine Einrumpf-Yacht sollte unfähig sein zu kentern!
Schon deshalb bin ich kein Freund von solchen siebengescheiten Belehrungen. Nicht nur können wir mit dem im Jollenkurs gelehrten Anlegemanöver (Aufschießer) nichts anfangen, weil Sachschäden am Dickschiff und Steg geradezu vorprogrammiert sind. Gleiches gilt auch für die Warnung vor der Halse.
Die Mär von der "gefährlichen Halse" setzt sich im Seglerleben oft noch lange Zeit fort. Dabei ist die richtige Ausführung einer Halse auf dem offenen Meer - erfahrene Fahrtensegler wissen das - bei weitem nicht so gefährlich wie ein Wende. Schon allein wegen der maßgeblichen Windstärke. Ein einfaches Rechenbeispiel zeigt das:
Nehmen wir mal an, eine Yacht segelt am Wind, also fast gegenan, mit der rechenüblichen Schiffsgeschwindigkeit von 6 Knoten. Auf der Yacht zeigt der Windmesser (zum Beispiel der Verklicker, aber auch der Handwindmesser) eine Windgeschwindigkeit von ca 25 Konten an. Da die Yacht fast gegenan läuft, dürfte der tatsächliche, oder auch der "wahre Wind", so um die 19 Knoten betragen, denn die Schiffsgeschwindigkeit ist ja allein für 6 Knoten Gegenwind gut. Wir segeln sozusagen in den Wind hinein.
Umgekehrter Fall: Wir laufen bei gleichem Wind, der nunmehr von achtern kommt, vor dem Wind ab. Deshalb sind die sechs Knoten Fahrtwind vom achterlichen (wahren) Wind abzuziehen, so dass auf dem Schiff nur mehr ein Wind von 13 Knoten zu spüren sind, denn 6 Knoten "Luftzug" bekommen wir von der Fahrt durchs Wasser. Wir kennen das auch aus der Tatsache, dass Segelschiffe platt vor dem Laken niemals schneller als der Wind segeln können - auch nicht die schnellsten Katamarane!
Schaut man sich daraufhin eine Beaufort-Skala an, wird man feststellen, dass "vor dem Wind" auf die Yacht ungefähr vier Windstärken wirken, aber immerhin sechs Windstärken bei "gegenan". Das geben scheinbar auch oben die beiden Fotos her, obwohl sie ja nahezu gleichzeitig, also bei gleichem Wind , aufgenommen wurden. Am Rande bemerkt: Der Unterschied von circa zwei Windstärken zwischen Am-Wind- und Vor-Wind-Kurs wird bei den meisten Sturmtaktiken dazu benutzt, um vor dem Wind abzulaufen
Hier liegt der wesentliche der Grund dafür, dass Wenden so stressig sein können. Nur deshalb verunsichert eine Wende den obigen Fragesteller. Das Rigg wird so enorm belastet, dass ein heftiges Beben durchs Schiff geht, die Genua wird ziemlich ohrenbetäubend im scharfen Gegenwind um sich schlagen, was dazu führt, dass ein Aufenthalt auf dem Vorschiff bei der Wende (kann immer passieren, zum Beispiel wenn das Schothorn des Vorsegels hängenbleibt) schon aus diesem Grund gefährlich sein kann. Das ganze ist keine Sekundenangelegenheit, das Schiff macht ja kaum noch Fahrt durchs Wasser. Außerdem hat die Yacht mangels Fahrt und Druck ins Segel keinen Halt mehr, sie rollt und stampft je nach Seegang ziemlich wild. Das zitternde Rigg wird mehr belastet, als durch ein ruhiges, stabiles Segeln.
Was kann man dagegen tun? Sie ahnen es!
Sicher einer der erfahrensten Hochseesegler, die mir je begegnet sind, hat mich damals in der schriftlichen Prüfung zum C-Schein (war der höchste Schein für weltweite Hochseefahrt) mit Fragen aus der Praxis geplagt. Diese habe ich nie vergessen: "Was machen Sie, wenn Sie bei Bft Sieben nicht mehr mit einer Wende durch den Wind kommen?"
Antwort, Sie wissen es jetzt: "Halsen!"
Auf einer Hochseeyacht ist nämlich die Halse für die Manschaft sicher nicht so "gefährlich" wie das Wenden.
Wenn es sachkundig durchgeführt wird. Dann ist es auch für eine kleine Mannschaft, die ja die meisten Weltumsegler sind, ein völlig unaufgeregtes Manöver, für das man sich Zeit lassen kann, für das man nur in den seltensten Fällen aufs Vorschiff muss, um der umherflappenden Genua auf den anderen Bug zu helfen. Das liegt nicht nur an dem um zwei Windstärken niedrigeren Wind und der somit glatteren See, sondern auch daran, dass die Yacht während des ganzen Manövers stabile Fahrt macht - ohne Stampfen und ohne übertriebenes Rollen wie beim haltlosen Wenden. Sehen Sie sich bitte die beiden Fotos oben nochmals an und überlegen Sie: Möchten Sie lieber nach achtern, in den Wind mit 6 Bft und in die aufgewühlte See eine Wende fahren oder auf dem jetzigen Kurs bleiben und eine gemütliche, absolut sichere Halse durchziehen.
Voraussetzung hierfür ist lediglich, dass der Großbaum immer(!) fixiert ist, also niemals frei umherschlagen kann. Wenn nicht, nennen ihn die Amerikaner in diesem Zusammenhang einen Widow-Maker - von schweren Schäden an Großbaum und Rigg mal abgesehen.
Dies kann kinderleicht mit einem Bullenstander erreicht werden. Im englischen Segler-Schrifttum ist davon bei Manövern oft die Rede unter dem Namen "Preventer" (engl.: Verhinderer), in Deutschland ist er bei einigen, ansonsten seriösen, Segelschulen unbekannt. Der ist nichts anderes als ein Kälberstrick (ich nenne ihn absichtlich so despektierlich, um seine Einfachheit aufzuzeigen), der von der Nock des Großbaums zu einem festen Punkt außen auf das Deck führt. Gesetzt wird er ganz simpel, indem er an Deck festgezurrt wird, um anschließend die Großschot dicht zu holen. So sitzt der Großbaum bombenfest und kann auch bei einer Unachtsamkeit des Rudergängers oder auch beim plötzlichen Einschlafen des Windes kein Unheil mehr anrichten.
Es ist zweckmäßig, aus Sicherheitsgründen bei gesetztem Bullen schon auf Raum-Kus oder höchstens auf etwas achterlichem als Raum-Kurs, keinesfalls platt vorm Laken, das Groß dicht zu holen, nach Möglichkeit mittschiffs, und dann bei ruhiger See (siehe Foto oben!), anders als beim Gegenangehen, vergleichsweise gemütlich "rund achtern" zu segeln. Erst wenn die Yacht anschließend wieder auf Raum-Kurs geht, erst dann, wird das Großsegel je nach Wunsch-Kurs gefiert.
Interessant: In Deutschland ist es zu einer gerichtlichen Verurteilung gekommen, weil eine Segelschülerin einen Schädelbruch erlitten hat, als ein Schüler eine Halse hätte segeln müssen und der Großbaum auf der anderen Seite ein- und zugeschlagen hat: "Grob fahrlässig vom Schiffsführer" urteilte der Richter. Wäre nie passiert, wenn der Baum mit Talje gesichert gewesen wäre. Wahrscheinlich würde auch Frankreichs großer Seeheld Eric Tabarly noch leben, der in der Nacht wahrscheinlich vom Großbaum über Bord gewischt wurde. Der nicht durch eine Talje (Bullenstander) gesicherte Großbaum ist für die Mehrzahl der Fälle "Mann über Bord" verantwortlich.
Wenn jetzt jemand meint, er würde ja schon keine unbeabsichtigte und damit gefährliche (!) Halse, nämlich eine Patenthalse, bauen, dann stimmt das vielleicht, wenn der Rudergänger durchwegs auf Vorwindkursen den spürbaren (relativen) Wind oder "Bordwind" zum Beispiel durch Klicker oder elektronischen Windanzeiger kontrolliert. Bei Blauwasserfahrten jedoch ist das Ruder fast immer einer Selbsteueranlage überlassen, die bei Winddrehungen aus dem Ruder laufen kann. Genauso kann der stützende Wind einschlafen, sodass dann der Großbaum keinen Halt mehr hat. Haben wir doch schon oft gelesen: "Wurde ich durch ein wildes Herumschlagen des Großbaums geweckt". Oder so ähnlich.
Bitte eine sichere Halse ruhig mal ausprobieren! Wenn per Bullenstander der Großbaum sicher fixiert ist, dann ist Halsen auf einer Yacht ein unaufgeregtes, sicheres und völlig ungefährliches Manöver ohne Stampfen und übermäßiges Rollen, weil ja immer Fahrt im Schiff ist und es sozusagen die Wellen bergab geht statt beim Gegenan-Bolzen bei der Wende in die raue See hinein - siehe zweites Foto oben! Die Yacht wird vor dem Wind auf den anderen Bug gedreht, die Genua fällt wegen der Abdeckung ein, wird harmlos backstehen, wenn wir sie nicht zuvor per Hand rüberholen und belegen, und das Großsegel flappt ohne großen Knall sachte auf die andere Seite! Beim Manöverschluck wird kein Tropfen aus dem Glas verloren gehen.
Nebenbei: Bei Windjammern gibt es in der Praxis nur das "Schiften", was ja nichts anderes ist als Halsen
Wenn es dem Fragesteller "als gefährlich erscheint, den Bug in den Wind zu legen", dann hat er völlig recht. Gerade bei so einer ungemütlichen See (siehe nochmals Foto oben mit Blick nach achtern) kommt ein zusätzlicher Gefährdungsfaktor. Die Yacht ohne Fahrt durchs Wasser wird während der Wende heftig stampfen, was die Crew auf dem Vorschiff schon mal ein oder zwei Meer hochspringen lässt.
Einen Nachteil bringt die Halse gegenüber der Wende: Die verlorene Kabellänge macht bei einer Gesamtstrecke über den Atlantik von siebenundzwanzigtausend Kabellängen natürlich unwahrscheinlich viel aus, oder?
Wer all das nicht glaubt, der hat immer noch eine Chance: learning the hard way...
Für erfahrene Langfahrtsegler ist dies aber nicht in den Wind gesprochen!
Bobby Schenk
P.S. Nicht so wichtig: Wenden hab ich auf Dickschiffen nur in meiner Jugend oder bei Regatten gefahren. Ob mein 15-Meter-Kat per Wende durch den Wind geht, kann ich nicht sagen, weil ich aus Sorge um großes Schiff und kleiner Crew nie eine Wende gefahren habe.
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